Go-Me-Kan – Kiyoshi Ogawa
……aber die Menschen sind anders geworden!
Dienstagabend, zwischen 18 und 19 Uhr, Stau auf der A3, umKöln herum geht nichts mehr. Wahrscheinlich kommen wir zu spät. Wir waren verabredet mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit der Karatescene, die bei vielen unterhalb der Wahrnehmungsgrenze geblieben ist: Kiyoshi Ogawa Sensei.
Er leitet das Karate Dojo „Go-Me-Kan“ in der Schwerinstr. 6 mitten in Düsseldorf. Wie der Name schon erahnen lässt, ein Gojo-Ryu-Dojo. Endlich, ab Leverkusen läuft der Verkehr wieder und wir sind … fast pünktlich gegen 19 Uhr in einem angenehmen Wohn- und Geschäftsviertel angelangt. Wir finden sogar einen Parkplatz und gelangen über einen eleganten Innenhof, wo sich unter anderem auch ein attraktiver Weinladen befindet, zum Dojo. Im Obergeschoss eines Geschäftshauses hat sich der Meister traditionell eingerichtet. Schon beim Betreten wird das spezielle Ambiente spürbar, wir sind in einem richtigen Dojo. Zwischen zwei separaten Trainingsflächen gibt es Umkleideräume, Nasszellen und einen offenen Aufenthaltsraum, wo sich auch das kleine Büro befindet. Von hier aus kann man die beiden Trainingsflächen gut einsehen und wir bekommen einen ersten Eindruck vom Trainingsbetrieb.
Im ersten Trainingsraum müht sich ein Danträger mit einem halben Dutzend Anfängern und schon hier zeigt sich die Einstellung von Ogawa Sensei, dass gerade die Anfänger erfahrene Trainer haben müssen und keine mittelstufigen Kyugrade, die zum Anfängertraining abkommandiert werden.
So nach und nach füllt sich das Dojo mit der Oberstufe, die um 20 Uhr trainieren darf. Zu dieser Zeit befindet sich Ogawa Sensei im 2. Trainingsraum und leitet das Training der Unterstufe. Bezeichnend für die besondere Atmosphäre im Dojo ist die Tatsache, dass alle Fortgeschrittenen beim Betreten des Dojos und vor dem Umkleiden den Meister still verbeugend begrüßen. Das gleiche Ritual vollführen alle auch vor dem Verlassen des Dojos. Hierbei wird deutlich, dass es keine leere Formalität ist, sondern Bezeugung eines ehrlichen Respekts vor der Person und Autorität von Ogawa Sensei.
Das Aufwärmtraining übernimmt immer jeweils ein Danträger und erst danach betritt der Meister die Tatami und übernimmt das Training. Das 75minütige Training der Dan-Träger verläuft nach einem ähnlichen Muster wie das der Unterstufe. Zunächst gibt es eine Grundschule im Stand, dann in der Vorwärts- und Rückwärtsbewegung. Zunächst nur Armtechniken, dann Kombinationen und alles immer mit beiden Körperseiten. Dem folgen komplexere Kombinationen in unterschiedlichen Ständen und erst dann gibt es Fußtechniken. Danach die Verbindungen zwischen den Extremitäten, d. h. Kombinationen aus Arm- und Fußtechniken. Ogawa Sensei erklärt, korrigiert und alles in einer unkompliziert, entspannten Art. Danach wird Kata geübt und den Abschluss des Trainings bildet das Randori. Hier wird deutlich, dass die Elemente Kihon, Kata und Kumite sich wunderbar ergänzen, einander bedingen.
Es ist ein stilles Training und auch mit Erhöhung der Intensität bleibt als Grundlage eine spürbare, kaum zu beschreibende Lockerheit. Ein Braungurt kommentierte mein Erstaunen: „So ist das immer hier. Es ist immer ein tolles Training und eine super Stimmung!“ Die Zusammensetzung der Trainingsgruppen zeigt, dass wir in einer Millionenstadt sind und in Düsseldorf einige Tausend Japaner leben. In jeder Trainingsgruppe finden sich Japaner und andere Asiaten. Nur bei den Kindern sind die Japaner sehr rar, da „die japanischen Kinder in Düsseldorf einen sehr langen Schultag haben und für den Nachmittagssport keine Zeit haben“ erklärt Ogawa Sensei.
Gegen Trainingsende geht bei allen der Puls noch einmal durch die Kräftigungsübungen im Stand und im Liegestütz nach oben. Aber dann widmet der Meister sehr viel Zeit der Abwärmphase. Lockerungsübungen und Atemübungen runden die Trainingseinheit ab.
Nach dem Training hatten wir Gelegenheit, mit Ogawa Sensei zu sprechen.
Toshiya
Ogawa Sensei, wann und unter welchen Umständen kamen Sie nach Deutschland?
Ogawa Sensei
Das war 1968. Ich hatte in Japan zusammen mit Tokyo Funasako im selben Dojo trainiert. Ich hatte damals den 3. Dan. Ein gemeinsamer Bekannter von uns, der auch aus unserem Dojo kam, Himi Sensei, war während seines Studiums in Deutschland und lernte bei einem Privatlehrer Deutsch. Das war ein Herr Scholz, der bei der Lufthansa arbeitete und Judo übte. Über diesen Kontakt kam April/Mai 1968 eine Trainerstelle von Tokyo Funasako im Bereich Heilbronn zu Stande. Ich bin ihm zwei Monate später nach Deutschland gefolgt und unterrichtete zunächst in einer Judo-Sport-Schule in Oberbilk.
Toshiya
Gab es damals schon den Karate-Boom?
Ogawa Sensei
Nein. In Düsseldorf gab es zwei Budo-Schulen, als ich kam. Damals waren wir einige wenige Japaner, die im DKB organisiert waren. Das waren Kono, Ochi, Funasako und ich. Meines Erachtens gab es damals noch keine reinen Karate-Dojos. Die meisten waren Judoschulen angeschlossen.
Toshiya
Haben Sie noch Kontakt zu ihren Karate-Wurzeln in Japan?
Ogawa Sensei
Immer wenn ich nach Hause fahre, besuche ich meinen japanischen Verband. Das ist so ein- bis zweimal im Jahr. Ja, ich habe noch Kontakt mit meinem alten Dojo und den Karateka dort.
Toshiya
Was machen Sie heute anders als vor 38 Jahren?
Ogawa Sensei
Ich mache immer noch das gleiche wie früher. Da hat sich nichts geändert. Aber die Menschen sind anders geworden. Die Jugendlichen wollen immer alles schnell machen und nur Wettkampftechniken üben. Die Schüler scheinen zu denken, dass Karate sei Wettkampfkarate. Früher haben alle einfach nur Karate gemacht. Das heißt Kihon, Kata und Kumite. Das gehört zusammen. Und wer wollte, hat dann auch Wettkampf gemacht. Aber heute wollen viele nur Wettkampf machen, aber kein Karate mehr.
Toshiya
Hat sich auch das Lernverhalten der Menschen geändert?
Ogawa Sensei
Früher waren die Karate-Schüler härter und stabiler. Heute hören sie im Training auf, wenn ihnen was weh tut oder hören ganz auf, wenn sie sich mal verletzt haben. Der Ehrgeiz war früher bei den einzelnen Leuten größer. Heutzutage kommen immer noch viele, die schon vor 30 Jahren bei mir trainiert hatten.
Das sind alles Dan-Träger, bei denen Karate zum täglichen Leben gehört und die sind teilweise auch schon über 50 Jahre alt. Karate ist ein Teil vom Leben.
Toshiya
Wer hat dieses schöne Dojo gebaut?
Ogawa Sensei
Das waren wir selbst, meine Schüler und ich.
Toshiya
Ab welchem Alter dürfen Kinder am Karate-Unterricht teilnehmen?
Ogawa Sensei
Wir haben hier eine hauptberufliche Judo-Lehrerin. Sie unterrichtet in
5 Gruppen Judo für Kinder ab 5 Jahren. Für Karate müssen sie mindestens 8 Jahre alt sein. Der Ausländeranteil bei den Kindern liegt ungefähr bei 50 %. Ich habe den Eindruck, dass viele Kinder frech sind und zu Hause nicht das lernen konnten, was wichtig ist im Leben. Aber kein Wunder, wenn die Kinder nachmittags unbeaufsichtigt sind, da beide Elternteile arbeiten.
Toshiya
Was bedeutete der Name des Dojos „Go-Me-Kan“?
Ogawa Sensei
Diesen Namen habe ich von unserem alten Dojo in Japan übernommen. Das hieß genauso. „Go“ kommt von Goju Ryu, „Me“ bedeutet soviel wie Helligkeit oder Positiv und „Kan“ ist die Halle oder Örtlichkeit, wo man trainiert. Zusammenhängend soll es also bedeuten „Ein Ort, wo man mit Freude Goju-Ryu-Karate trainiert“.
Toshiya
Eine wirklich zutreffende Bezeichnung für das, was wir heute hier gesehen haben. Karate hat ganz entscheidend Ihren Lebensweg gezeichnet. Was hätte werden können ohne Karate?
Ogawa Sensei
Ich glaube, ich habe geschickte Hände. Ich hätte dann gerne etwas Handwerkliches mit Holz gearbeitet.
Toshiya
Welche Sportarten faszinieren Sie?
Ogawa Sensei
Ich mag Baseball, wie fast alle Japaner. Es ist zwar ein Mannschaftssport, aber eigentlich findet sich jeder Spieler immer in einer 1:1 Position. Da ist zum einen der Pitcher und zum anderen der Batter. Das ist eine Kampfposition, nur einer hat Erfolg – da kommt keiner mehr zwischen. Das mögen die Japaner, ich auch. Fußball gewinnt derzeit in Japan bei den jungen Leuten an Beliebtheit. Aber da gibt es nicht diese spannende Situation zwischen zwei Spielern wie beim Baseball. Beim Fußball kommt immer irgendeiner dazwischen.
Sensei Ogawa
geboren 1943 in Tochigi (Japan), lernte bei Shihan Yoshihiro Urakawa Goju-Ryu-Karate-Do. Danach trainierte er bei Gosen Yamaguchi und Gogen Yamaguchi. Sensei Ogawa ist seit 1968 in Düsseldorf und hat neben Sensei Tokio Funasako maßgeblichen Anteil an der Verbreitung von Goju-Ryu-Karate-Do in Deutschland.
Das Sportcenter Go-Me-Kan ist eine seit 1977 in Düsseldorf ansässige Budo-Sportschule, die sich unter der Leitung des japanischen Cheftrainers Shihan Kiyoshi Ogawa auf den Unterricht von Goju-Ryu-Karate spezialisiert hat. Neben Karate wird im Go-Me-Kan noch Kinder-Karate und Kinder-Judo unterrichtet.